BGH entscheidet zu Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung
20.12.2018 ·Nachricht ·Private Krankenversicherung
Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine vom Versicherer mit Zustimmung eines
„unabhängigen Treuhänders“ gemäß § 203 Abs. 2 VVG vorgenommene
Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung nicht allein wegen einer ggf.
zu verneinenden Unabhängigkeit als unwirksam anzusehen ist. Ist der zustimmende
Treuhänder gemäß den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (im Streitfall
noch § 12b VAG a.F.) ordnungsgemäß bestellt worden, so findet eine gesonderte
Überprüfung seiner Unabhängigkeit durch die Zivilgerichte im Rechtsstreit des
einzelnen Versicherungsnehmers über eine Prämienanpassung nicht statt. Die
Zivilgerichte haben aber in einem solchen Rechtsstreit die materielle Rechtmäßigkeit
der Prämienanpassung zu überprüfen. |
Sachverhalt und Prozessverlauf
In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit wandte sich der Kläger gegen
Beitragserhöhungen für die Kalenderjahre 2012 und 2013, die sein privater
Krankenversicherer auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG vorgenommen hatte. Die
Vorinstanzen haben die Unwirksamkeit der Anpassungen festgestellt und den
beklagten Versicherer u.a. auch zur Rückzahlung der in den Jahren 2012 bis 2015 vom
Kläger zunächst gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt, weil der tätig gewordene
Treuhänder nach ihrer Auffassung nicht von der Beklagten unabhängig gewesen war.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber entschieden, dass die Unabhängigkeit nur
die Voraussetzung für die Bestellung des Treuhänders nach den aufsichtsrechtlichen
Vorschriften, nicht aber für die Wirksamkeit der von ihm nach seiner Bestellung
abgegebenen Erklärung ist. Sie ist deshalb von den Zivilgerichten im Rechtsstreit über
eine Prämienanpassung nicht gesondert zu prüfen. Insoweit hat allein die
Aufsichtsbehörde aufgrund der ihr vom Gesetzgeber eingeräumten
Mitwirkungsbefugnisse sicherzustellen, dass das Versicherungsunternehmen mit der
Prüfung der Prämienkalkulation einen unabhängigen und sachkundigen Treuhänder
betraut; die Interessen des Versicherungsnehmers sind dadurch gewahrt, dass im
Rechtsstreit über eine Prämienerhöhung vor den Zivilgerichten eine umfassende
materielle Prüfung der Ordnungsgemäßheit der vorgenommenen Beitragsanpassung
stattfindet.
Die genannte gesetzliche Kompetenzzuweisung, wie sie sich auch aus den
Gesetzesmaterialien ergibt, würde durch eine sachliche Überprüfung einzelner
Bestellungsvoraussetzungen im Rechtsstreit des einzelnen Versicherungsnehmers um
die Wirksamkeit der Prämienanpassung mangels Rechtskraftwirkung für andere
Versicherungsnehmer unterlaufen. Insbesondere liefe es dem Zweck der Regelung in §
12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (bzw. jetzt § 155 VAG) und § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG zuwider, wenn
eine Prämienanpassung trotz Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzungen allein an
einer fehlenden Unabhängigkeit des zuständigen Treuhänders scheitern würde. Denn
die Vorschriften zur Prämienanpassung bezwecken es vor allem, die dauerhafte
Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen durch den Versicherer zu gewährleisten.
Demgemäß berechtigt die Regelung in § 12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (jetzt § 155 VAG) den
Versicherer nicht nur zur Vornahme einer Prämienanpassung unter den dort genannten
Voraussetzungen, sondern begründet zugleich eine entsprechende Verpflichtung.
Daraus ergibt sich, dass auch eine vorübergehende Äquivalenzstörung im Interesse der
Beitragsstabilität vermieden werden muss. Eine solche träte ein, wenn eine
Prämienanpassung, zu der der Versicherer zwecks Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit
aus materiellen Gründen verpflichtet ist, nur wegen fehlender Unabhängigkeit des
Treuhänders für unwirksam erklärt würde, diese aber im Zuge der nächsten jährlichen
Überprüfung vom Versicherer nachgeholt werden müsste, wobei die dann
vorzunehmende Anpassung wegen der zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei den
Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen könnte.
Aufgrund der umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung der
Prämienanpassung anhand der ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen
materiellen Vorgaben durch die Zivilgerichte ist für die Versicherungsnehmer auch der
gebotene wirkungsvolle Rechtsschutz gegen vom Versicherer vorgenommene
Beitragsanpassungen gewährleistet, ohne dass ihnen hierfür eine gesonderte
Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders und damit der aufsichtsrechtlichen
Voraussetzungen für die Bestellung zum Treuhänder ermöglicht werden müsste. Die
sachliche Richtigkeit der Zustimmung des Treuhänders zur Prämienanpassung wird
insofern inzident mitgeprüft.
Der Bundesgerichtshof hat daher das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit
an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses prüfen kann, ob die
Prämienanpassungen ausreichend im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG begründet worden
sind und ggf. ob die materiellen Voraussetzungen für die Prämienanpassung
vorgelegen haben.
Quelle | BGH, Pressemitteilung zum Urteil vom 19.12.18, IV ZR 255/17